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VMs: WELTWOCHE



The long wait is over, my Voynich piece is in the current issue
of the leading Swiss weekly DIE WELTWOCHE.

www.weltwoche.ch

Thanks a lot to everybody who contributed with their insight. And
since the story is only accessible to subscribers, below you'll
find the text.


WELTWOCHE:


Das grosse Rätselbuch
Christoph Neidhart

Es trieb Dutzende von Forschern an den Rand des Wahnsinns ? das mysteriöse «Voynich-Manuskript».



Handbuch eines mittelalterlichen Gynäkologen? Eine Seite

des Voynich-Manuskripts.
Es muffelt wie Ölkreide, fühlt sich an wie Fischpapier, leicht schmierig, abgegriffen. Das mysteriöseste Manuskript der Welt ist eine gebundene dicke Kladde in Pergament. Aber zuerst bringt mir der Bibliothekar zwei graue Schaumgummi-Keile, auf die das Buch zu liegen kommt. Dazu ein kleines, schweres Sandkissen, um die offene Seite zu beschweren. Vollgekritzelt mit Pflanzen und Nymphen, Tierkreiszeichen, Himmelsgestirnen und Text, erinnert es an mittelalterliche Manuskripte. Doch es hat den Ruf von Wissenschaftlern ruiniert; andern bereitet es schlaflose Nächte: Seit 350 Jahren versucht man, das «Voynich-Rätsel» zu lösen. Vergeblich.


Das Manuskript liegt in der «Beinecke Rare Book»- Bibliothek der Yale-Universität. Bisher ist es niemandem gelungen, seine Abbildungen und die geheimnisvolle Schrift zu ent-schlüsseln oder Gültiges über den Verfasser zu sagen. Wir wissen weder, in welchem Jahrhundert das Buch entstand, noch in welchem Land. Dabei lässt sich seine Spur 400 Jahre zurückverfolgen: Das Buch gehörte zur Bibliothek von Kaiser Rudolf II. von Habsburg (1552?1612), der von Prag aus das Heilige Römische Reich Deutscher Nation regierte. Nach Amerika gebracht hat es Wilfrid Voynich im Jahre 1912. Der New Yorker Antiquar war in einem Jesuiten-Kolleg in Frascati auf die Kladde gestossen, die seither seinen Namen trägt. Doch aus dem erhofften Geschäft wurde nichts, Voynich konnte das Manuskript genauso wenig verkaufen wie nach ihm der Buchhändler Hans Kraus. Entnervt schenkte dieser letzte Besitzer es 1969 der Beinecke-Bibliothek. Hier liegt es nun, für jeden Interessenten, der glaubwürdig seine Ernsthaftigkeit geltend macht, zum Einsehen bereit.

Seine Deuter dagegen arbeiten verstreut über die ganze Welt: in Brasilien, Venezuela, den USA, Grossbritannien, Deutschland, Japan und Australien. Viele haben das Manuskript noch nie gesehen, ihre Forschung stützt sich auf Fotokopien und Computer-Transkriptionen. Sie treffen sich auch gegenseitig kaum, kennen sich nur übers Internet. Gabriel Landini, ein Kiefer-Pathologe in Birmingham, hat einen Computer-Font geschaffen, der die Transkription des Darmstädter Mathematikers René Zandbergen auf den Bildschirm bringt. Seither kann man die Handschrift auf jeden Laptop laden, kann sich E-Mails in Voynich-Skript schicken ? nur lesen kann man sie nicht.

Auch der Japaner Takeshi Takahashi hat den kompletten Text zur statistischen Auswertung elektronisch erfasst. Frühere Kodifizierungen stammen unter anderen vom Linguisten Jacques Guy in Melbourne, der seit einem Vierteljahrhundert am Voynich nagt. Die Umschriften zeigen beachtliche Unterschiede: Bei manchen Zeichen ist man sich noch nicht mal einig, ob es ein «a» ist oder ein «o», oder wo es beginnt und wo es endet. Es ist, als müsste man in einer Schrift, die man nicht kennt, klären, ob zwei von Hand geschriebene Zeichen ein «m» oder zwei «n» darstellen, oder ein «w», ein «un» oder «nu» ? oder drei Einsen. Schlimmer: Hier weiss man nicht einmal, für welche Laute die Zeichen stehen. Vielleicht sind einige von ihnen auch bloss Ornamente, die den Wort- oder Zeilenanfang markieren.

Obwohl in den letzten Jahren enorm viel Material zusammengetragen worden ist, steht die Voynich-Forschung nach fast 100 Jahren noch am Anfang. Aber die Hobby- Kryptologen und Geheimschriftamateure geben nicht auf, auch wenn sie mit ihren Entschlüsselungsmethoden genauso gescheitert sind wie die Profis der amerikanischen National Security Agency.

Lateinisches Alphabet, arabische Zahlen

Das Voynich sei eines der populärsten Manuskripte der Bibliothek, sagt Robert Babcock, der Beinecke-Kurator. Meist verlangten es linguistische Freizeitdetektive und Journalisten. Für vierzig Dollar gibt ihnen die Bibliothek eine Kopie ab; damit machen sie zu Hause weiter. Im Monat gehen etwa zwölf Stück weg. Heute seien es am ehesten Mathematiker und Computer-Leute, die seriös daran arbeiten. Sie vermuten, die Lösung sei über eine numerische Analyse der etwa 243000 Zeichen in 40000 «Wörtern» zu finden.

Auf den ersten Blick erinnern mich viele der Zeichen an das lateinische Alphabet, andere an arabische Zahlen. Manche sehen aus wie lateinische Abkürzungen und einzelne wie mittelalterliche italienische Codes. Man nimmt an, es mit einem Satz von 27 Zeichen zu tun zu haben. Dazu finden sich 72 seltenere Buchstaben oder Varianten des Zeichensatzes. Je länger ich auf eine Seite starre, desto eher glaube ich, einzelne Wörter zu erkennen, etwa «alla», «Gotland» oder «gottica». Und «Goth» oder «Gott». Oder in kyrillischer Schrift «Boshe», auch Gott. Manche Zeichenfolgen wiederholen sich regelmässig, eine «kyrillische», die aussieht wie «spasibo», das russische «danke». Hat das Voynich-Fieber mich bereits gepackt? Ich weiss doch, dass die Schrift so nicht zu entziffern ist. Aber das Auge ist leicht zu verführen.

Die meisten Wörter ? oder besser: Zeichengruppen ? bestehen aus drei, vier, fünf oder acht Buchstaben. Wenn nicht lateinisch, so könnte die Schrift kyrillisch sein, armenisch oder georgisch. Doch wer sagt, es seien nicht etwa Zahlengruppen? Oder mehrfach verschlüsselte Wörter, deren gewisse Buchstaben nach einem komplexen System verdoppelt, ausgetauscht oder weggelassen wurden?

Weil dem Text bislang so gar nichts Schlüssiges zu entlocken war, richten manche ihre Aufmerksamkeit auf die Abbildungen. Sie deuten in der ersten Hälfte auf ein alchemistisches Rezeptbuch hin, die weiteren Teile scheinen medizinische, astrologische und kosmologische Kenntnisse festzuhalten. Badende Nymphen laden zu Fantasien von einem Jungbrunnen. Nackte Frauen schlüpfen aus einem Badezuber; da liegt der Gedanke an ein lustvolles Treiben nicht fern, zumal in ihrer Mitte zwei Hechte lauern. Und rundherum Text. Ist das Voynich-Manuskript das Handbuch eines mittelalterlichen Gynäkologen?

Das Geheimnis des Kaisers

Aber was sollen die ausklappbaren Bögen: Sind das Landkarten? Wer hat das Buch geschrieben? Ein Autor oder mehrere? Nicht einmal so viel wissen wir. Wann? In welcher Sprache? Welche Geheimnisse werden hier versteckt? Warum?

Voynich hatte im Buch einen Brief aus dem Jahre 1666 gefunden, in dem der damalige Rektor der Universität Prag, Johannes Marcus Marci, das Manuskript dem bekannten Jesuiten Athanasius Kircher in Rom überliess, einem Mathematiklehrer, der sich auch mit Sprache und Kryptologie beschäftigte. Aus dem Brief geht hervor, das Manuskript habe Rudolf II. von Habsburg gehört. Der Kaiser hatte es für den stolzen Preis von 600 Dukaten gekauft und später dem Arzt Jacobus Horczicky de Tepenec wohl zum «Lesen» geliehen, nachdem dieser ihn von einer schweren Krankheit geheilt hatte. Horczicky verewigte sich als Jacobus de Tepenec auf der ersten Seite des Manuskripts. Das kann erst 1608 oder später geschehen sein: In jenem Jahr hat der Kaiser seinen Feldscher geadelt, ihm den Titel «de Tepenec» verliehen. 1611 trat Rudolf ab, ein Jahr später verstarb er; seine Schätze wurden geplündert. Es könnte durchaus sein, dass der Herr Doktor Horczicky alias Tepenec das Buch einfach bei sich behielt.

Rudolf II. beschäftigte sich mit Kunst, Wissenschaft und Okkultismus, das war seinen Zeitgenossen bekannt. Wer hat ihm die geheimnisvolle Kladde verkauft ? oder angedreht? Oder ist das Ganze eine Fälschung, die mit Wissen Voynichs angefertigt wurde oder die auch ihn getäuscht hat? Muss man nicht Verdacht schöpfen, wenn der Brief, der den Kaiser als Vorbesitzer identifiziert, ausgerechnet im Buch selbst gefunden wird? Wilfrid Voynich scheint an die Echtheit des Manuskripts geglaubt zu haben: Er schrieb es Roger Bacon zu, einem englischen Gelehrten des 13. Jahrhunderts, der stets an den Wissenschaften seiner Zeit herummäkelte. Er soll Motorboote entworfen haben, Kutschen ohne Pferde, Flugmaschinen und soll jene optischen Gesetze beschrieben haben, die zur Konstruktion von Lupe und Fernrohr nötig sind. Ein Leonardo des Mittelalters. Hat nicht auch der grosse da Vinci seine Schriften unlesbar gemacht, indem er in Spiegelschrift schrieb? Tatsächlich notierte Bacon einst, kein Gelehrter von gesundem Menschenverstand würde seine Erkenntnisse in Klartext niederschreiben, sondern eine von sieben Methoden der Verschlüsselung verwenden. Wissen zu veröffentlichen, das der Kirche nicht in den Kram passte, konnte einen den Kopf kosten.

Mit seiner Bacon-Vermutung richtete Voynich sich nach 1912 an Presse und Wissenschaft. Bald waren Amerikas Magazine und Sonntagsbeilagen voll von Voynich- Geschichten, 1921 bezeichnete Harper?s das Buch in einer grossen Reportage als das «mysteriöseste Manuskript der Welt», eine Charakterisierung, die hängen blieb. William Newbold, ein Mediävist der Universität von Pennsylvania, schloss nach eingehender Untersuchung, es handle sich tatsächlich um ein Labor-Journal von Roger Bacon. Newbold glaubte zu erkennen, dass jedes einzelne Zeichen aus mehreren mikroskopisch kleinen griechischen Buchstaben zusammen-gesetzt war, und übersetzte Teile des Manuskripts. Damit konnte er auch zeigen, dass Bacon schon über Ferngläser und Mikroskope verfügte. Er fand Hinweise auf Unruhen in Oxford und eine Sonnenfinsternis 1290 ? Ereignisse, die sich belegen liessen. Doch Newbold war mit seiner «Wissenschaft» der eigenen Fantasie aufgesessen: Seine Lösung hielt der Überprüfung nicht stand. Vier Jahre nach seinem Tod zeigte John Manly, der Autor des Harper?s-Artikel, dass Newbolds mikroskopisch kleine Buchstaben in Wirklichkeit Altersbrüche in der Tusche waren und dass man mit seinem System Hunderte anderer Inhalte in die Zeichen hineinlesen konnte.

Alles nur Fantasie?

Ein anderer, der Erfolg vermeldete, war Leo Levitov. Er identifizierte das Manuskript als häretische christliche Liturgie, abgefasst in einer einfachen, standardisierten Sprache, einer Art mittelalterlichem Esperanto, deutsch-lateinisch-griechisch-englischem Babyspeak. Doch fiel es dem Linguisten Jacques Guy leicht zu zeigen, dass es diese Sprache nicht geben kann. So geriet auch Levitov unter jene, die sich vom Buch hatten narren lassen.

Liessen sich die beiden von einer Fälschung täuschen? Kann es gar keine Voynich- Entzifferung geben, weil jemand beliebig Buchstaben aneinander reihte und Fantasie- Pflanzen kritzelte? Obendrein mit Wissen Voynichs? Diese Hypothese ist widerlegt, seit zwei weitere Briefe an Anasthasius Kircher gefunden worden sind, in denen Rektor Marci und einer seiner Freunde den Gelehrten in Rom in den Jahren 1639 und 1640 um Unterstützung bei der Entzifferung des Buches bitten.

In den siebziger Jahren folgte der Yale-Professor Robert Brumbaugh einer anderen Spur: Die Pflanze auf Seite 33 wurde 1944 von einem Botaniker als Sonnenblume identifiziert. Damit kam Bacon als Autor nicht mehr in Frage. Sonnenblumen existierten in Europa nicht, bevor Kolumbus 1493 die ersten Samen aus Nordamerika zurückbrachte.

Brumbaugh, der auch erwog, ob das Buch ein frühes Beispiel raffinierter Chiffriertechnik sein könnte, machte John Dee, den englischen Mathematiker und Hof- Astrologen von Elisabeth I., zum Hauptverdächtigen. Dee, dem Shakespeare mit Prospero im «Sturm» ein Denkmal schuf, war in den Jahren 1584 bis 1588 ein regelmässiger Gast Kaiser Rudolfs II. Dabei könnte Dee das Manuskript an den Kaiser vermittelt haben ? oder, die kaiserliche Schatulle im Auge, sogar an dessen Entstehung beteiligt gewesen sein.

Dabei ist, frohlockt Brumbaugh, dem schlauen Dee entgangen, dass es Sonnenblumen im 13. Jahrhundert in Europa noch gar nicht gab. Die Sonnenblume auf Seite 33 sieht tatsächlich aus wie eine Sonnenblume. Sie erlaubt uns, die Entstehungszeit des Manuskripts auf das 16. Jahrhundert einzugrenzen, einer Zeit, in der Geheimsprachen, Chiffrierungen und Okkultes en vogue waren.

Allerdings ist Yale-Professor Brumbaugh selbst Entscheidendes entgangen. Im 16. Jahr-hundert sahen die Sonnenblumen anders aus als die gezüchtete Pflanze heute: Der gelbe Blütenblätterkranz war im Verhältnis zum Blütenkorb mit den Kernen kleiner. Erst die Züchtung hat die heutigen Grössenverhältnisse entstehen lassen. Die wilde Sonnenblume hingegen, argumentiert Jorge Stolfi, ein Professor der Mathematik und Computer-Grafik in Brasilien, habe kaum Ähnlichkeit mit der Pflanze auf Seite 33. Die stelle auch keine der etwa fünfzig andern Sonnenblumenarten dar. Womit die Hypothese wieder wackelt, das Manu-skript könne erst im 16. Jahrhundert entstanden sein: John Dee ist vorerst entlastet. Oder war es ? bis der Amerikaner Dana Scott, ebenfalls Biologe, 51 der 229 Pflanzen identifizierte: Er führt Seite 33 wieder als Sonnenblume, Helianthus annuus, allerdings mit einem Fragezeichen versehen.

Aus einem Scherz wird Ernst

Fazit: Der Ausflug in die Botanik zeigt zwar, dass es sich keineswegs nur um Fantasie- Gewächse handelt, schon auf Seite 1 kommt die Tollkirsche vor: Aber einer Lösung scheint er uns nicht näher zu bringen.

Zuletzt haben vor allem Mathematiker neue Erkenntnisse beigetragen. Sie zeigen, dass es sich beim Text nicht um zufällig aneinander gereihte Zeichen handelt, sondern um eine wirkliche Sprache. Mit den Mitteln der Statistik, die man zur Spektral- und DNA- Analyse verwendet, hat Gabriel Landini Wörterhäufigkeit, Zeichenvariabilität und - verteilung mit den ent-sprechenden Werten anderer Bücher verglichen, etwa der Bibel oder Oscar Wildes «Bildnis des Dorian Gray». Nach dem so genannten Zipf-Gesetz folgen alle Sprachen einem ähnlichen Wortfrequenz-Muster, selbst wenn die Texte verschlüsselt sind. Nur mehrfach chiffrierte Texte weichen davon ab: Daraus lässt sich schliessen, dass es beim Voynich kaum, wie lange vermutet, um einen über mehrere Sprachen verschlüsselten Text handelt.

Die Wörterlänge dagegen weicht, gemäss Landini, von jener europäischer Sprachen ab, die Voynich-Wörter sind kürzer. Ist es also eine aussereuropäische Sprache? Das erstaunt angesichts des europäischen Charakters des Buches.

Als Erster warf Jacques Guy die Frage auf, ob das Voynich womöglich ein chinesischer Text sei. Nur hatte der aus Frankreich stammende Linguist, der sich als Neunjähriger mit dem Buch «Le Russe Sans Peine» selbst Russisch beibrachte und als Primarschüler sein eigenes Alphabet erfand, dies gar nicht ernst gemeint: Marco Polo hätte zwei Chinesen von seiner Reise zurückgebracht, flunkerte er, um sie eine Enzyklopädie schreiben zu lassen. Als der Mathematiker Stolfi im brasilianischen Campinas Jahre später eine hohe strukturelle Ähnlichkeit der Voynich-Sprache mit Vietnamesisch und Chinesisch nachwies, fühlte sich der pensionierte Sprachforscher Jacques Guy überrumpelt. Er hatte die Marco-Polo-Story als Scherz lanciert. Nun nimmt er die Hypothese ernst und findet selbst überraschende Parallelen, etwa Vokal- Flexionen ? wie in «singen», das zu «sang» wird ? oder Konsonant-Erweichungen ? «p» wird zu «b», «t» zu «d» ?, wie sie im Walisischen beobachtet werden. Und übrigens auch in Sindarin, der vom «Herr der Ringe»-Autor Tolkien erfundenen Sprache. Zudem deutet Stolfi zwei Ornamente auf der ersten Seite nicht unplausibel als die chinesische Schriftzeichen für «Winter» und «Himmel».

Was fasziniert erwachsene Männer (es sind fast nur Männer) am Voynich-Rätsel so sehr, dass sie Jahre ihrer Freizeit dafür opfern? Viele stiessen zufällig auf das Manuskript und blieben hängen; nicht zuletzt, weil es ihnen auf den ersten Blick lesbar schien. Luis Velez in Venezuela nennt es das «letzte Rätsel»: «Wie könnte einen das nicht packen?» Und Petr Kazil in den Niederlanden vergleicht es mit dem Loch Ness, es sei aufregend, und jeder habe eine Chance.

Meine Recherche ist zu Ende, das Problem ungelöst. Es wird ungelöst bleiben, glaubt Jacques Guy, wenn nicht jemand einen Schlüssel findet; etwas Text, eine der Pflanzen oder eine andere Illustration in einer Drittquelle, die wir verstehen und von der aus man Rückschlüsse auf einige der Voynich-Wörter zu ziehen vermöchte. Dann könnte es plötzlich schnell gehen. Nick Pelling in England forstet nun Mittelalter- und Renaissance-Texte auf Verwandtschaften mit dem Voynich ab. Vielleicht brächte auch eine DNA-Untersuchung des Pergaments neue Erkenntnisse. Oder die fehlenden Seiten des Manuskripts tauchen auf.

Die Recherche scheint nun wirklich abgeschlossen, da flattert Post von John Stojko ins Haus: Er hat das Voynich-Manuskript entziffert, schon 1978. Seiner Meinung nach ist es ein ukrainisches Gebetsbuch, das ? wie das Hebräische ? nur die Konsonanten schreibt. In der Tat lesen sich seine Deutungen, soviel Ukrainisch verstehe ich, wie der Singsang orthodoxer Messen. Nur die Korrelation von Stojkos Transkription mit dem Original überzeugt nicht. Auch er hat seinen eigenen Sinn in die Zeichen hineingelesen.

Die andern Teilnehmer der weltweiten Voynich-Debatte haben seine Version längst widerlegt; und er selbst nimmt weiter an der Online-Diskussion teil. Einmal angesteckt, kann man davon kaum lassen... Meine Zeit ist um, Beinecke schliesst für heute. Ich klappe die alte Kladde zu, knüpfe ihre Binde. Meine Ehrfurcht ist verbraucht. Was will man mit einem Buch, das sein Geheimnis nicht preisgibt? Der Bibliothekar legt es in seinen Buchsarg, nimmt die Schaumgummi-Keile entgegen und fragt: «Kommen Sie morgen wieder?»
Nein.